Historische Entwicklung
Die Abnahme der Orgel mit 40 Stimmen, Haupt-, Ober-, Hinterwerk und Pedal erfolgte am 11. Mai 1723. In der Folgezeit war die Orgel leider oft eingreifenden Veränderungen ausgesetzt: Abbé Vogler ließ sie 1800 durch den Berliner Orgelbauer Falckenhagen „simplifizieren“, indem er von den 2.556 Pfeifen 1.555 in seinen Augen überflüssige Pfeifen entfernen ließ und an die St. Hedwigs-Kathedrale verschenkte.
Zum Glück konnte durch Simon Buchholz 1829 die Orgel mit wenigen zeitgemäßen Veränderungen in ihren früheren Zustand gebracht werden. Gegen Ende des Jahrhunderts (1893/94) führte die Firma Schlag & Söhne aus Schweidnitz/Schlesien einen Um- und Erweiterungsbau durch. 1908 erhöhte die Firma Sauer die Stimmenzahl auf 57 und stattete die Orgel mit einer Röhrenpneumatik und Kegelladen aus.
Die Zeit nach 1945
und der Neubau durch Alfred Kern & Fils, Strasbourg
Als eine der wenigen Orgeln überstand die „schönste Orgel Berlins“ die Zerstörungen des 2. Weltkrieges. In den Jahren 1947 bis 1949 nahm die Orgelbauwerkstatt Alexander Schuke (Potsdam) umfangreiche Veränderungen vor. Die pneumatische Traktur wurde durch eine elektro-pneumatische ersetzt und die Disposition wieder dem barocken Klangprinzip angenähert. 1957, 1970 und 1985 wurde die Orgel wiederum verändert, jeweils mit dem Ziel, die Disposition dem ursprünglichen Zustand anzugleichen.
Nachdem in den folgenden Jahren wiederholt Störungen an der Orgel aufgetreten waren, verursachte besonders der strenge Winter 1996 so schwere Schäden, dass erneute Reparaturen wenig sinnvoll gewesen wären.
Deshalb konnte eine überzeugende Lösung nur in einem Neubau gefunden werden, für den die renommierte Strasbourger Orgelbauwerkstatt Daniel Kern 1999 beauftragt wurde.
Die Restaurierung
In Anbetracht des noch sehr gut erhaltenen Gehäuseprospekts der Berliner Bildhauer Johann Georg Glume und Paul de Ritter und angesichts des Umstands, dass in einer Reihe von Registern noch Wagner-Pfeifen, wenn auch weitgehend verunstaltet, vorhanden waren, entstand dieser Neubau nach Maßgabe der Gesamtkonzeption und Disposition Joachim Wagners von 1721: Alle 40 Register Wagners wurden unter Verwendung der noch vorhandenen Pfeifen originalgetreu rekonstruiert, ebenso das Gehäuse, allerdings unter Beibehaltung der denkmalwürdigen Veränderungen von 1908. Die Balganlage, die Kanäle und Windladen sind genaue Kopien nach erhaltenen Wagner-Orgeln.
Verändert gegenüber Wagner wurde aus Gründen der heutigen musikalischen Praxis die Anordnung der Manuale und die Erweiterung des Tastenumfangs in den Manualen bis f³.
Es wurde eine historische Stimmung gelegt, allerdings mit moderner Tonhöhe 440 Hz, damit die Orgel bei Chor- und Instrumentalmusik eingesetzt und der Gemeindegesang nach den Tonarten des Gesangbuchs begleitet werden kann. Schließlich erhielt die Orgel fünf zusätzliche Register, die jedoch getreu ihren Vorbildern in Wagner-Orgeln nachgebildet sind.
Mit höchster handwerklicher Kunst durch Daniel Kern ist nun ein prächtiges Instrument ganz im Sinne des Erbauers Joachim Wagner geschaffen worden.
In den Gottesdiensten und traditionsreichen Orgelmusiken erklingt die berühmte Wagner-Orgel von 1722 mit ihrem prachtvollen Prospekt, ihrem vergoldeten Ornamentwerk, den trompetenden und jubilierenden Engeln zur Ehre Gottes und zum Wohle der Gemeinde.
Joachim Wagner
Joachim Wagner wirkte vorwiegend in Berlin, der Mark Brandenburg und Pommern, nachdem er in der Werkstatt des berühmten sächsischen Orgelbauers Gottfried Silbermann in Freiberg/Sa. gearbeitet hatte. Die 1720-22 erbaute dreimanualige Orgel zu St. Marien in Berlin verrät hinsichtlich der Disposition, der Bauart der Windladen und der Pfeifenmensuren das große Vorbild. Nach Fertigstellung dieses prächtigen Instruments wurde Wagner zum begehrtesten Orgelbauer Berlins und der Mark Brandenburg. Am 23. Mai 1749 verstarb Joachim Wagner mittellos in Salzwedel und wurde am nächsten Tag „in der Stille beygesetzet“.
Von den 45 hinterlassenen Instrumenten sind u.a. erhalten geblieben: Brandenburg Dom (1725), Jüterbog Liebfrauenkirche (1737), Trondheim (Norwegen) Dom (1739), Treuenbrietzen St. Marien (1740), Wusterhausen/Dosse Dom (1742), Angermünde St.Marien (1744).
Wagners Orgeln zeichnen sich durch große Farbigkeit des Klanges aus; ihre Werke (in der Berliner Marienkirche: Haupt-, Ober-, Hinter- und Pedalwerk) mit ihren einzelnen Chorgruppen haben ihre Eigenständigkeit, verschmelzen aber auch zu einem wunderbaren, prächtigen Gesamtklang.
Das Instrument in der Marienkirche wurde klanglich und technisch wegweisend für den Orgelbau in Berlin und der Mark Brandenburg bis weit ins 19. Jahrhundert.