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Nachruf Pfarrer Werner Arnold

Bild oben: Werner Arnold 2014 in der Marienkirche im Gespräch mit dem damaligen Bischof Dr. Markus Dröge

Leben und Wirken Pfarrer Werner Arnold, *25. März 1928  †30 August 2023

„Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel. Du wirst aus meinem Munde das Wort hören und sollst sie in meinem Namen warnen.“ (Hesekiel 2, 17)

Für Werner Arnold, Pfarrer an der St. Marienkirche von 1955 bis 1963, war sein Predigen, Denken und Handeln als Pfarrer an dieses prophetische Wächteramt gebunden.
Als er im Ruhestand in Reinfeld bei Lübeck lebte, habe ich Werner Arnold zwischen 2009 und 2014 mehrfach besucht, Aufzeichnungen gemacht, Dokumente zu seinem Wirken an St. Marien in den Archiven gesucht und weitere Zeitzeugen befragt. Es war eine aufwühlende Erinnerungsreise für ihn und eine ungemein eindrückliche Entdeckungsreise für mich, für die ich großen Dank empfinde.
Dem Wächteramt (Hesekiel 2, 17) war sein Gewissen unbedingt verpflichtet, wie er mir sagte: „Das ist für mich bestimmend gewesen, für die Verkündigung, dass ich ohne Rücksicht auf Risiken dem Wächteramt nach Kräften gerecht werden muss und sage, was zu sagen ist. … Und diese beiden Dinge waren mir, als ich nach Marien kam, das wichtigste, die Verkündigung in der Verantwortung vor dem aufgetragenen Wächteramt und die Verkündigung in Klarheit, dass man mit der Person für die Wahrheit eintritt, die man ausspricht.“
In Bonn 1928 geboren, als Jugendlicher 1944 und 1945 zunächst Luftwaffenhelfer, dann im Arbeits- und Militäreinsatz, nach dem Abitur 1947 Student der Theologie in Bonn, absolvierte Werner Arnold sein 1 und 2. Theologisches Examen in Berlin in den Jahren 1952 und 1953, ordiniert wurde er 1953 in Potsdam. Die schwierigen Jahre nach dem Krieg haben ihn geprägt, gerade auch angesichts des kirchlichen Umgangs mit den zurückliegenden Jahren; Heuchelei und Besserwisserei nach dem Ende der Diktatur erlebte er als unwürdig, sie führten ihn zu seiner Haltung von Verantwortlichkeit des Glaubens und Klarheit des Handelns.

In der Marienkirche, gerade in Marien, hatte Werner Arnold einzutreten für das, was er sagte und tat. Die Kirche stand, als er 1955 berufen wurde, unter besonderer politischer Beobachtung des DDR-Staates. Sein Vorgänger, Pfarrer Reinhold George, hatte im Gefolge der Auseinandersetzungen um die Junge Gemeinde die Pfarrstelle verlassen müssen. Drastisch verschärfte sich die Situation durch den Mauerbau 1961, als Bischof Martin Dibelius, Präses Kurt Scharf und Propst Heinrich Grüber die Einreise nach Ost-Berlin verwehrt wurde und Werner Arnold die Neuordnung der kirchlichen Arbeit in der Marienkirche zunächst fast allein zu bewältigen hatte. Verkündigung in Klarheit bedeutete ihm in diesen Jahren eine „rückhaltlose Verkündigung, die das Geschehen an der Mauer wörtlich und öffentlich als Mord geißelte.“  Aber nicht nur mit seinen Predigten rückte Werner Arnold in das Blickfeld des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Seit Anfang 1962 fanden einmal im Monat auf Einladung von Werner Arnold schwedische Gottesdienste der Victoriagemeinde in der Marienkirche  statt. Arnold lernte so den schwedischen und den amerikanischen Legationspfarrer Heribert Jansson und Werner Otto kennen, die über einen Diplomatenpass verfügten und also ohne genauere Kontrollen die Grenzkontrollpunkte in Berlin passieren konnten. Mit ihrer Hilfe und unter tatkräftiger Mitwirkung von Werner Arnold wurden ab 1962 die Marienkirche und das benachbarte Gemeindehaus zum Zentrum eines illegal-humanitären Helfens. In den Kofferräumen der Diplomatenfahrzeuge versteckt, wurden ungefähr 30 Menschen, denen eine Verhaftung in Ostberlin bzw. der DDR drohte, nach Westberlin gebracht; darüber hinaus wurde Marien zu einem deutsch-deutschen „Umschlagplatz“ u.a. für Medikamente, Hilfsgüter, Talare und Unterstützungsgelder für die Kirchengemeinden in der gesamten DDR.

Für Werner Arnold und seinen zwischenzeitlich nach Marien berufenen Pfarrkollegen Martin Helmer gestaltete sich die Situation immer bedrohlicher, Verhaftungen standen angeblich bevor;  die Kirchenleitung hatte einer Flucht der beiden Familien bereits ihre Zustimmung erteilt. Martin Helmer und seine Frau flohen dann auch Anfang Oktober 1963 mit Hilfe von Heribert Jansson; Werner Arnold und seine Frau entschlossen sich, trotz der großen Gefahr mit ihrem 1961 geborenen Sohn in Ost-Berlin an Marien zu bleiben. Verabredet wurde, dass sich ein befreundetes Ehepaar im Falle einer Verhaftung der beiden Eltern um den zweijährigen Sohn kümmern würde.
Und Werner Arnold wurde verhaftet, am 21. Oktober 1963. Die Anklagepunkte lauteten auf Zersetzung des DDR-Staats durch den Verkündigungsdienst, Fluchthilfe, Spionage und die Durchführung von Kurierdiensten. Die Haftzeit dauerte gut acht Monate im Gefängnis des Staatssicherheitsdienstes in Berlin-Hohenschönhausen: überwiegend in Einzelhaft, mit einer Vielzahl von Verhören und dem Versuch von Einschüchterungen durch die Drohung einer Überstellung nach Moskau – und:  „zweimal durfte ich schreiben und – natürlich zensiert – Post erhalten und den Besuch meiner Frau empfangen.“
In den Wochen bis Juli 1963 wurde Werner Arnold dann zu einem Gegenstand der „großen“ Politik; er gehörte zu den ersten politisch Gefangenen, die im Gefolge geheimer Verhandlungen zwischen der DDR, der Bundesrepublik und der Kirche unter Freikaufsregelungen fielen und zunächst gegen Sachmittel, dann später gegen Devisenzahlungen seitens der Bundesrepublik die DDR verlassen durften.
Werner Arnold hat sehr mit sich gekämpft, ob es richtig sei, „seine“ Marienkirche zu verlassen; der eindringliche Hinweis der Kirchenleitung und eingeweihter Vertrauter, dass ein Prozess in Ost-Berlin zu einer Verhaftung vieler weiterer Personen führen würde, bewogen schließlich seine Frau und ihn dazu, dem Freikauf zu folgen. Am 3. Juli 1964 wurde Werner Arnold aus der Haft entlassen und sofort mit seiner Familie nach Westdeutschland überführt. Zehn Jahre später begann dann, unter gänzlich  anderen Verhältnissen, ein Neuanfang in Reinfeld, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1992 als Pfarrer tätig war.  

Am 26. Oktober 1963 schrieben die Eltern wenige Tage nach der Verhaftung eine Karte aus Bad Godesberg an ihren Werner Arnold ins Gefängnis: „Mein lieber guter Junge! Wir sind ganz eins mit Dir im Vertrauen auf Gottes Hilfe. Er möge Dir beistehen und Kraft schenken. Wir wollen alle tapfer sein. Deine Dich innig liebenden Eltern.“

So habe ich Werner Arnold kennenlernen dürfen: Er lebte in einer beeindruckenden Festigkeit im Glauben, ganz klar, ganz konsequent, ganz voller Gottvertrauen. Aber darin nicht triumphalistisch, sondern in seiner Bestimmtheit leise, auch hadernd und vor allem in dem Wissen, dass die Festigkeit des Glaubens auch sehr viel Tapferkeit erfordert und es auch Kraft braucht, diese Tapferkeit immer von neuem aufzubringen. 

In großer Dankbarkeit für sein Wirken an der Marienkirche gedenkt die Ev. Kirchengemeinde St. Marien-Friedrichswerder ihres Pfarrers Werner Arnold,

Roland Stolte
27. September 2023